Baptismus in Deutschland

Wie war das ganz zu Beginn? Wie ging es weiter? Der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden hat hierzu in zwölf Folgen die wichtigsten Ereignisse und einige Bilder zusammengestellt. Diese Artikel würden leider den Rahmen unseres Gemeindebriefes sprengen, darum kann man sie hier lesen.

1834-1859: Die Pionierzeit des deutschen Baptismus

Johann Gerhard Oncken

Johann-Gerhard Oncken (geb. 1800 in Varel, gest. 1884 in Zürich) stammte aus einfachsten Verhältnissen. Ihn prägte die Zeit, die er in Großbritannien als Kaufmannsgehilfe verbrachte. Zwischen 1814 und 1823 lernte er als Heranwachsender das damals modernste Land der Welt kennen. Handel und Industrie standen in voller Blüte. Bürgerliche und religiöse Freiheiten hatten einen Stand erreicht, der in Deutschland noch lange nicht in Sicht war. Die Schattenseite dieser Entwicklung war die Massenarmut und die moralische Verwahrlosung unter den Industriearbeitern. Angesichts dieser Widersprüche in der Gesellschaft fand Oncken innere Orientierung in der calvinistisch geprägten Frömmigkeit der schottischen und englischen Erweckungsbewegung und entdeckte seine persönliche Berufung. Bekehrung, Widergeburt und Heiligung, konsequente Ausrichtung an der Bibel und unermüdlicher Missionseifer waren seither die Eckpunkte seines Selbstverständnisses. Nach der Rückkehr nach Deutschland war Oncken seit 1828 in Hamburg als Vertreter britischer Schriftenmissionsgesellschaften tätig. Aus dem Hamburger Kleinbürger- und Arbeitermilieu sammelte er um sich eine Gruppe von Gläubigen zu regelmäßigen Versammlungen. Nachdem in diesem Kreis schon seit 1829 die biblische Berechtigung der Kindertaufe bestritten worden war, ließen "Oncken und Consorten" (so sagten damals die Hamburger) am 22. April 1834 vom durchreisenden amerikanischen baptistischen Theologen Barnard Sears taufen. Für die Hamburgischen Behörden und für die Staatskirche der stolzen Kaufmannsrepublik, die in ihrer religiösen und politischen Entwicklung im 17. Jahrhundert stehengeblieben war, war Onckens Gemeindegründung eine höchst verdächtige Angelegenheit, die man Anfangs durch Polizei und Gerichtsbarkeit zu unterdrücken versuchte. Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, dass die kleine Gemeinde zum Ausgangspunkt einer erfolgreichen Missionsarbeit wurde, vor allem durch Bibel- und Schriftenverbreitung, Predigtreisen und Kontaktaufnahme mit ähnlich denkenden Kreisen an anderen Orten. Bald folgten Gemeindegründungen in Berlin und Oldenburg (1837), Stuttgart (1838), Kopenhagen (1839), Jever, Bitterfeld, Bayreuth und Marburg (1840). 1847 nahmen die Gemeinden ein Glaubensbekenntnis an, das einen deutlichen Einfluss des calvinistisch geprägten angelsächsischen Baptismus erkennen lässt, dem Oncken sich zeitlebens verbunden fühlte. 1849 wurde der "Bund der vereinigten Gemeinden getaufter Christen in Deutschland und Dänemark" gegründet, im selben Jahr erschien das erste Gesangbuch, die von Julius Koebner herausgegebene "Glaubensstimme". 1859 hatte die baptistische Mission außer Deutschen und Dänen bereits Gläubige polnischer Nationalität erreicht. Mission, Kampf für Religionsfreiheit und Überwindung von sprachlichen und nationalen Unterschieden waren für die frühen Baptisten ein und dasselbe Anliegen - nämlich das Anliegen des Evangeliums.

Prof. Dr. Martin Rothkegel Theologisches Seminar (FH) Elstal / Gemeinde Berlin-Wedding

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Folge 2: 1859-1884: Die wachsende baptistische Bewegung in Europa

Julius Koebner
Julius Koebner

Auch die zweiten fünfundzwanzig Jahre des deutschen Baptismus waren immer noch in vieler Hinsicht geprägt von der Generation der Gründer. Neben Johann Gerhard Oncken sind Gottfried Wilhelm Lehmann (1799-1882) und Julius Köbner (1806-1884) als "ordnende Brüder" des Bundes zu nennen. Der Berliner Lehmann kam 1837 über den lutherischen Pietismus und das Umfeld der Herrnhuter Brüdergemeine zum Baptismus. Energisch und geschickt setzte sich Lehman gegen die Repressalien ein, mit denen der Staat jahrzehntelang die Gemeinden behinderte. Lehmann gehörte zu den Mitbegründern der Evangelischen Allianz in Deutschland. Köbner war der Sohn eines dänischen Rabbiners und kam 1836 zur Gemeinde, nachdem er zehn Jahre zuvor zum Christentum konvertiert war. Ihm sind zahlreiche Lieder, Traktate und Dichtungen zu verdanken, aber auch die erste deutsche Übersetzung der Schrift "Augenblick" des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard, in dessen Hinterfragung des bestehenden Christentums Köbner Gemeinsamkeiten mit der baptistischen Kritik am Staatskirchentum sah. Die Zusammenarbeit des "Kleeblatts" Oncken-Lehmann-Köbner zerbrach 1871 im "Hamburger Streit": In Altona hatte sich gegen den Willen Onckens eine selbständige Gemeinde konstituiert. Oncken beanspruchte die Autorität eines gemeinsamen Ältesten aller Bundesgemeinden. Im Bund setzte sich mit Lehmanns und Köbners Unterstützung das Prinzip der Selbständigkeit der Ortsgemeinde durch.

Manifest Deckblatt
Manifest Deckblatt

Erst 1876 kam es zu einer Versöhnung. Die Gemeinden wachten streng über den Lebenswandel der Mitglieder. Ausschluss wegen "Fernbleiben von der Versammlung" oder "Sabbatfrevel" war nicht selten ? das intensive Gemeindeleben und die strikte Sonntagsheiligung gaben den Rhythmus für das Familienleben vor. Freizeitvergnügungen wie Theaterbesuche, Tanz und Kartenspiel waren verpönt. Wissenschaft, Kunst und Kultur um ihrer selbst willen galten nicht als erstrebenswerte Güter. Auf der anderen Seite war gerade die Gemeinde der Ort, an dem viele Begabungen geweckt und gefördert wurden, sofern sie etwas zum Wohle der Gemeinde beitragen konnten. Das Musizieren stand in hohem Kurs. Menschen aus bildungsfernen Schichten wurden zu eifrigen Lesern, um über ihren Glauben Rede und Antwort stehen zu können. Vielleicht mehr als die organisatorischen Strukturen des Bundes haben das Singen und das Lesen zu Identität und Zusammenhalt der Baptisten über die einzelne Ortsgemeinde hinaus beigetragen. Das gemeinsame Liedgut begleitete die Gemeindemitglieder ein Leben lang und verband die Generationen. Die in hohen Auflagen gedruckten Traktate und Andachtsbücher setzten in den Gemeinden Akzente in Lehre und Frömmigkeit. Dazu kamen später Zeitschriften (seit 1879 erschien der "Wahrheitszeuge", Vorläufer der "Gemeinde"), durch die die Bundesgemeinschaft zu einer kleinen baptistischen "Teilöffentlichkeit" wurde. Vieles von dem, was damals in den Gemeinden gelesen wurde, ist heute vergessen, teils zu Recht, teils zu Unrecht. Einige Titel erwiesen sich langfristig als "Klassiker", etwa die Predigten des baptistischen Star-Predigers Charles H. Spurgeon in London, der 1867 sogar zur Einweihung der neuen Hamburger Kapelle nach Deutschland reiste. Aus dem frühen Schrifttum der deutschen Baptisten ragt ein kleiner Text hervor, Julius Köbners "Manifest des freien Urchristenthums" aus dem Revolutionsjahr 1848. Köbner sprach dort das aus, was im englischen und amerikanischen Baptismus von jeher selbstverständlich war, nämlich dass Freikirchentum immer auch mit der Verwirklichung einer freien Gesellschaft zu tun hat. Im deutschen Baptismus trat der freiheitliche Geist des Köbnerschen Manifestes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wieder in den Hintergrund, insbesondere angesichts neuer Freiheiten, die die Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 brachte. Der Neuanfang des Oncken-Verlags in Kassel 1878 und die Eröffnung des Predigerseminars in Hamburg 1880 waren Zeichen dieser neuen Zeit.

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Folge 3: 1884-1909: Baptistengemeinden im deutschen Kaiserreich

Predigerseminar Hamburg-Horn in den 1930er Jahren
Predigerseminar Hamburg-Horn in den 1930er Jahren

Die Reichsverfassung von 1871 hatte den Baptistengemeinden keinen einheitlichen Rechtsstatus gebracht (Kultusangelegenheiten blieben Ländersache), aber die Handlungsspielräume für die Gemeinden und für die Einrichtungen des Bundes erweiterten sich spürbar. Man wurde nach außen sichtbarer. Dank der Opferbereitschaft der Gemeinden entstanden repräsentative Kapellenbauten. In Gelsenkirchen, einer Arbeitergemeinde mit vielen polnischen Mitgliedern und zweisprachigem Gemeindeleben, leistete man sich sogar einen hohen Kirchturm. Als Bundeswerk wurde 1880 das Predigerseminar in Hamburg gegründet, 1888 bezog es das mit Unterstützung des amerikanischen Baptisten John D. Rockefeller errichtete Gebäude in Hamburg-Horn. Viele Seminarlehrer der ersten Jahrzehnte waren durch ihr Studium oder durch längere Auslandsaufenthalte vom amerikanischen Baptismus beeinflusst. Auf Gemeindeebene war der amerikanische Einfluss im Liedgut der Erweckungsbewegung präsent, das eifrig übersetzt wurde und sich großer Beliebtheit erfreute. "Typisch deutsch" waren dagegen die Diakonissenhäuser, die nach dem Vorbild der landeskirchlichen Mutterhäuser nun auch von Baptisten gegründet wurden (1887 Bethel-Berlin, 1899 Tabea-Altona, 1907 Siloah-Hamburg). Entscheidende Impulse für das diakonische Engagement der deutschen Baptisten gingen von dem Berliner Prediger Eduard Scheve (1836-1909) aus. Scheve setzte auch durch, dass die deutschen Baptisten 1886 eine Missionsarbeit in Kamerun (seit 1884 deutsche Kolonie) übernahmen.

Scheve

Die afrikanischen Mitarbeiter bildete Scheve anfangs persönlich aus, indem er begabte Häuptlingssöhne in seine Wohnung aufnahm. "Unsere schwarzen Brüder betrachten sich bereits als zu uns deutschen Baptisten gehörig, und damit thun sie recht" (Scheve 1890). Will man die gesellschaftliche Rolle des deutschen Baptismus charakterisieren, dann ist ein vergleichender Blick nach Großbritannien hilfreich. Dort erlebte das Freikirchentum in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Blütezeit. Infolge ihrer langen Auseinandersetzungen mit der Staatskirche hatten die "Nonkonformisten" (Baptisten, Quäker, Methodisten) ein tief verwurzeltes Freiheitsbewußtsein, das sich mit einem Streben nach praktischer Heiligung verband. Beides zog Kreise an, die nach politischer Emanzipation, sozialem Aufstieg und moralischer Orientierung strebten. Die "Nonkonformisten" standen an der Spitze der großen sozialen Reformbewegungen. Als progressive und überproportional einflussreiche Minderheit zählten die Freikirchler zur Stammwählerschaft der linken "Liberal Party", für die übrigens der Baptist Charles H. Spurgeon, der berühmteste Prediger seiner Zeit, unverhohlen Wahlwerbung betrieb. Nach 1880 begann sich das freikirchliche Lager im Streit über die Inspiration der Bibel und die Evolutionslehre zu spalten und büßte, innerlich uneins, innerhalb der folgenden Jahrzehnte seine Rolle als "Gewissen" der britischen Gesellschaft allmählich ein. Im Vergleich zu ihren angelsächsischen Glaubensgenossen schlugen die zeitgenössischen deutschen Baptisten gesellschaftlich eher leise Töne an. Sie wollten nicht als selbstbewusste Nonkonformisten, sondern als vorbildliche Untertanen wahrgenommen werden - dahinter mochte auch die Furcht nach erneuten Unterdrückungsmaßnahmen stehen. Die großen gesellschaftlichen Themen, z.B. die Forderungen nach Verbesserung der Lage der Industriearbeiter und nach Einführung des Frauenwahlrechts, waren in Deutschland von der überwiegend kirchenfernen Sozialdemokratie besetzt. Ebenso wie die erwecklichen Kreise der Evangelischen Allianz sahen die deutschen Baptisten in den sozialen Reformbewegungen nicht Verbündete, sondern Konkurrenten, ja zuweilen eine Bedrohung der gottgewollten Ordnung. Und darunter verstand man vor allem die Monarchie mit einem frommen Kaiser als Haupt. So dankte die Bundeskonferenz 1888 dem neuen Kaiser Wilhelm II. mit aufrichtiger Begeisterung, daß er sich zu den "erhabenen, durch Gottes Wort sanktionierten Grundsätzen" des "erlauchten Herrscherhauses der Hohenzollern" bekannte. Kritik am bigotten Staatskirchentum der wilhelminischen Zeit, dem Schlussakt jener Jahrhunderte langen "Ehe von Thron und Altar", lag den meisten deutschen Baptisten fern. Ihrem "frommen" Kaiser blieben sie auch dann noch treu, als dieser im Begriff stand, das Land in den Ersten Weltkrieg zu reißen.

Prof. Dr. Martin Rothkegel Theologisches Seminar (FH) Elstal / Gemeinde Berlin-Wedding

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Folge 4: 1914-1933: Das baptistische Milieu vom 1. Weltkrieg zur Weimarer Republik

Wagenmission mit Friedrich Sondheimer 1929
Wagenmission mit Friedrich Sondheimer 1929

"Ich kenne keine Parteien mehr, kenne nur noch Deutsche!" Mit diesen Worten begeisterte Wilhelm II. im August 1914 selbst viele der sonst oppositionellen Arbeiter für seinen Krieg. Religiöse Minderheiten wie Juden und Freikirchen sahen im Krieg die große Chance, sich als Deutsche unter Deutschen zu bewähren und sich vom Makel des Andersseins reinzuwaschen. Viele Baptisten verstanden den Krieg zudem als Möglichkeit zur Mission und zogen mit speziellen Traktaten ins Feld. Doch statt der Erweckung folgte bis 1918 eine Serie erbärmlicher Gemetzel. Auf den Schlachtfeldern ging das alte Europa für immer unter. Die religiösen Legitimationssysteme Alteuropas ? Habsburgs Katholizismus, Preußens Protestantismus und Rußlands Orthodoxie ? gingen aus dem Krieg moralisch diskreditiert hervor und verloren mit dem Zusammenbruch der Monarchien ihre traditionellen Funktionen. In Deutschland setzte 1919 ein Kampf um den Öffentlichkeitscharakter der Großkirchen ein, den diese durch ihr Beharren auf staatskirchenrechtlichen Privilegien sicherzustellen suchten. Der neuen demokratischen Ordnung standen am ehesten noch die Katholiken konstruktiv gegenüber. Sie hatten in ihrer langen Auseinandersetzung mit der preußisch-protestantischen Vorherrschaft die Möglichkeiten parlamentarischer Repräsentation zu schätzen gelernt und besaßen mit dem Zentrum eine starke Volkspartei. Viele Protestanten nahmen dagegen die Republik als Zumutung und als Staat ohne göttliche Legitimation wahr. Auf zaghafte Versuche liberaler und linker Politiker, die Landeskirchen in eine quasi freikirchliche Selbständigkeit vom Staat zu entlassen, reagierte das konservativ-erweckliche Lager mit einer Diffamierungskampagne. Die suggestiv formulierten Warnungen vor den "gottlosen" Politikern verfehlten auch bei den Freikirchen nicht ihre Wirkung. Paradoxerweise galten daher Politiker, die einen religiös neutralen Staat forderten, bei vielen Baptisten als nicht wählbar. Das Entsetzen über den antikirchlichen Terror in der Sowjetunion nährte - obwohl man einige Anliegen der Sozialdemokratie teilte - ein pauschales Mißtrauen gegenüber der Linken.

Traktat von 1929
Traktat von 1929

Politische Kommentare in baptistischen Zeitschriften der Weimarer Republik lassen eine Sehnsucht nach einem gottgesandten Führer erkennen. Die Vorbehalte gegenüber der Demokratie trieben die Baptisten zwar nicht scharenweise in die Arme der durch Deutschland trommelnden und stampfenden Nazis ? Parteieintritte von Baptisten waren selten ?, verführte aber viele zu hoffnungsvollen Erwartungen bei Hitlers Machtergreifung. Während die Chancen, die die Demokratie bot, von den Baptisten nicht voll erkannt wurden, sah man die weithin empfundene religiöse Entwurzelung nach 1918 ? wieder einmal ? als missionarische Aufgabe. Die häufigen Gemeinde- und Wagenevangelisationen fanden einigen Anklang. Wirklich am Puls der Zeit waren die Gemeinden dennoch nicht. Der "weltanschauliche" und kulturelle Reformdiskurs der Weimarer Zeit bewegte die Gemeinden durchaus, fand aber letztlich wenig Resonanz. Als Gemeindemitglied war man voll ausgelastet und gehörte in der Regel auch einem oder mehreren baptistischen Vereinen an, denn die Gemeinden boten kein "Programm" an, sondern außer den zwei bis drei wöchentlichen vom Prediger geleiteten Versammlungen waren alle Gruppen und Aktivitäten als Vereine mit gewählten Leitern organisiert. Wer irgend konnte, abbonierte eine oder mehrere baptistische Zeitschriften ? und bezog dementsprechend kaum andere Presseerzeugnisse. Neumitglieder wurden in ein durch Verwandtschaft, Werte und Lebensformen gefestigtes konfessionelles Milieu integriert, das Identität und Geborgenheit bot, aber nicht für jedermann attraktiv war. Übertritte aus dem Bildungsbürgertum blieben vereinzelt. Andererseits machte sich der soziale Aufstieg der Gemeinden bemerkbar. Sorgfältig führte der Bund Statistik über die allmählich steigende Zahl der Studenten und Akademiker. Wer als Baptist an einer Universität studierte, hörte oft neben seinem Fach auch theologische Vorlesungen, um sich für die Mitarbeit in der Gemeinde zu rüsten. Konservativ-erweckliche Universitätstheologen wie Adolf Schlatter und Karl Heim erfreuten sich bei den Baptisten hohen Ansehens. Die Prediger kamen aber nach wie vor ganz überwiegend vom Hamburger Seminar. Unter den Seminaristen gab es viele Auslandsdeutsche und Osteuropäer. Zahlreiche Absolventen folgten ohne Zögern Berufungen in die deutschsprachigen Gemeinden in Osteuropa. Auch in Nord- und Südamerika gab es deutschsprachige Vereinigungen, die in Verbindung mit dem deutschen Bund standen. Das "baptistische Milieu" mag in mancher Hinsicht eng gewesen sein. Der Missionseifer eröffnete den Baptisten aber gleichzeitig einen Blick auf die Welt: "So war auch deutscher Baptismus keine nationale Enge, sondern christusgemäße Weltweite" (Max Slawinsky 1930).

Prof. Dr. Martin Rothkegel Theologisches Seminar (FH) Elstal / Gemeinde Berlin-Wedding

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Folge 5: 1943 - 1945: Die Baptisten im Dritten Reich

Dr. Hans Becker
Dr. Hans Becker

Nach der Machtübertragung an Hitler im Januar 1933 ist zu beobachten, dass sich die Baptisten in den folgenden Monaten sehr ambivalent verhielten.
Einerseits gab es - wie in den großen Kirchen - zustimmende Äußerungen zum Nationalsozialismus, die sich besonders in der Zeit nach den Märzwahlen häuften. So führte C. Brauns im "Wahrheitszeugen" aus: Er sei "dankbar, dass [Gott] uns so über Erwarten freundlich angeschaut hat, uns nicht in das Chaos wie in Rußland hat abgleiten lassen. In der nationalen Bewegung ruft er noch einmal ähnlich wie in der Reformationszeit zur Einkehr und Buße." Auch war man froh darüber, dass Hitler den Parlamentarismus abgeschafft hatte. Begrüßt wurde auch der Kampf gegen die Unsittlichkeit. Vereinzelte kritische Stimmen, die es auch gab, können das - aus heutiger Sicht - negative Gesamtbild aber nicht nachhaltig korrigieren. Andererseits erkannten besonders die Verantwortlichen im Baptistenbund, dass das Jahr 1933 an den Freikirchen nicht spurlos vorübergehen würde. So befürchtete man eine Gleichschaltung mit der evangelischen Kirche; besonders Äußerungen der Deutschen Christen, d.h. also der Parteigänger der Nationalsozialisten innerhalb der evangelischen Kirche, trugen zur Beunruhigung bei. So versuchte man in zwei Richtungen diesen Gefahren vorzubeugen: Zum einen wurde im Sommer 1933 das Führerprinzip eingeführt (Bundesälteste), 1936 aber teilweise wieder aufgegeben; es passte nicht zur kongregationalistischen Struktur des Bundes. 
Zum anderen entwickelte man Pläne für eine vereinigte evangelische Freikirche. Nachdem man aber sowohl vom Staat als auch mehrmals von der evangelischen Kirche gehört hatte, dass an eine Eingliederung der Freikirchen in die evangelische Reichskirche nicht zu denken sei, wurden diese Pläne wieder aufgegeben. Die Anerkennung durch den Staat forderte aber ihren Preis. So wurde schon der baptistische Weltkongress 1934 vom NS- Staat zu Propagandazwecken ausgenutzt. Ganz offen ließ sich Paul Schmidt zusammen mit dem Methodisten Melle 1937 auf der ökumenischen Weltkonferenz in Oxford vom NS- Staat instrumentalisieren, indem man erklärte, dass in Deutschland Religionsfreiheit herrsche und man ungehindert das Evangelium verkündigen könne. Dies stieß v.a. in Kreisen der Bekennenden Kirche auf Empörung, da man hier besonders den Repressionen des Staates ausgesetzt war. Dieser Anpassungskurs wurde bis zum Ende des Krieges fortgesetzt. An der Erklärung auf der Oxforder Konferenz zeigt sich jedoch auch, was für die Baptisten der entscheidende Maßstab für ihr Verhältnis zum NS- Staat darstellte: So lange man mehr oder minder missionieren konnte, sah man keine Notwendigkeit, sich dem Regime zu widersetzen. Man konnte so erreichen, dass die Baptisten nicht verboten wurden. 

Hundertjahrfeier 1943
Hundertjahrfeier 1943

Trotzdem begannen sich ab 1935 die Schwierigkeiten (Verbote von Jugendfreizeiten beispielsweise) zu häufen. Auch musste man feststellen, dass man von der Gestapo bei ihren Recherchen als Sekte eingestuft wurde. Besonders das Verbot der Geschlossenen Brüder (Christliche Versammlung) machte den baptistischen Verantwortlichen die gefährdete Stellung der Freikirchen deutlich. Nicht zuletzt diese Entwicklung trug dazu bei, dass besonders Paul Schmidt ab 1937 die Idee der Vereinigung der taufgesinnten Gemeinden verfolgte. So stellen diese Bestrebungen eine Gemengelage von kirchenpolitischen und religiösen Motiven dar. Die Verhandlungen zwischen den Baptisten, Freien evangelischen Gemeinden und den "Brüdern" führten aber zu keinem greifbaren Ergebnis, so dass man die Gespräche zu Beginn des Zweiten Weltkrieges einstellte. Ende 1940 kam dann Hans Becker, der alleinige Leiter des aus dem Personenkreis der verbotenen Christlichen Versammlung gebildeten Bundes freikirchlicher Christen (BfC) auf die Baptisten mit dem Wunsch zu, einen gemeinsamen Bund zu gründen. Schon im Februar 1941 konnte man die Vereinigung beider Bünde beschließen; die staatliche Anerkennung des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) erfolgte aber erst im Herbst 1942. Für Becker war damit - neben dem Wunsch nach der Einheit der Christen - sicher gestellt, dass auch ohne ihn - er war 1939 zur Luftwaffe einberufen worden - die Brüdergemeinden mit ihrer speziellen Ausrichtung überleben könnten. Die Baptisten ihrerseits gewannen den Eindruck, zunehmend Repressionen ausgesetzt zu sein. So spielte bei ihnen neben der Verwirklichung der Einheit der Gemeinde die Hoffnung eine Rolle, durch die Verbindung mit dem BfC den Gefährdungen angemessen begegnen zu können. Die BfC- Gemeinden selbst erfuhren eine Statusverbesserung; so entfiel beispielsweise jetzt die Überprüfung neuer Gemeindemitglieder durch die Gestapo. Jetzt waren aus ihnen - wenn man dies für diese Zeit überhaupt so formulieren kann - normale freikirchliche Gemeinden geworden. 
Ein düsteres Kapitel stellt das Verhalten der Baptisten gegenüber der Judenverfolgung dar. So bezog der Baptistenbund beispielsweise keine Stellung zum Novemberpogrom 1938. Über organisierte Hilfsmaßnahmen des Bundes für verfolgte Juden ist nichts bekannt. Christen jüdischer Herkunft erfuhren in einzelnen Fällen Unterstützung, vielfach wurden sie aber in den Gemeinden ausgegrenzt, so beispielsweise Joseph Halmos in der Baptistengemeinde in München; er kam 1943 in Auschwitz um. Erst 1997 wurde diese Schuld in einer Handreichung des BEFG explizit benannt.

Lektürehinweise:
1. Aufsätze: - Strübind, Andrea, Die deutschen Baptisten und der Nationalsozialismus, in: Zeitschrift für Theologie und Gemeinde 7 (2002), 177-194 - Liese, Andreas, Weder Baptisten noch Brüder. Die Entstehung des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, in: Freikirchenforschung 18 (2009), 102-129.
2. Dissertationen: - Strübind, Andrea, Die unfreie Freikirche. Der Bund der Baptistengemeinden im ‚Dritten Reich', 2. korrigierte u. verb. Aufl., Wuppertal 1985 (in Bibliotheken vorhanden) - Liese, Andreas, Verboten-geduldet-verfolgt. Die nationalsozialistische Religionspolitik gegenüber der Brüderbewegung, Hammerbrücke 2003 (noch erhältlich bei Jota-Publikationen in Hammerbrücke).

Dr. Andreas Liese, Bielefeld

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Folge 6: Ein zweifacher Neuanfang: Baptisten im Nachkriegsdeutschland 1945-1955

Berlin Schmidtstraße
Berlin Schmidtstraße

Im Jahr 1946 erschien das Anschriftenverzeichnis des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden. Ein Vergleich mit dem infolge des Krieges letztmalig für 1939 herausgegebenen Jahrbuch zeigte gravierende Unterschiede. Den Namen Baptistengemeinden gab es nach dem 1941 erfolgten Zusammenschluss mit den BfC-Gemeinden nicht mehr. Herausgegeben wurde es vom Bundeshaus in Bad Pyrmont. Das Bundeshaus in Berlin war zerstört worden. Ebenso das Verlagshaus in Kassel. Deshalb hatte der Oncken-Verlag seinen Sitz in Stuttgart. Es fehlten Statistiken und vor allem die Namen der Gemeinden, Vereinigungen und Werke jenseits von Oder und Neiße, der neuen Ost- grenze. So war offensichtlich, dass der Bund die Folgen des Krieges mitzutragen hatte. Aber auch andere Unterschiede waren festzustellen. Neue Gemeindenamen, besonders im süd-deutschen Raum waren zu finden, und vermehrt in den ab 1947 wieder regelmäßig erscheinenden Jahrbüchern. Unter den Flüchtlingen aus dem Osten waren wohl 43000 Gemeindeglieder. Auch sie hatten wie alle Heimat und Besitz verloren, aber nicht ihren Glauben und die Liebe zur Gemeinde. Wenn sie an dem neuen Wohnort keine Gemeinde vorfanden, suchten sie Gleichgesinnte und bildeten eine neue Gemeinde. Ebenso mussten in den bestehenden Gemeinden die nun versprengt wohnenden Gemeindeglieder gesucht werden. So galt es im politischen Raum wie auch im Bund ein Neues zu schaffen. Sehr bald fragten die deutschen Kirchen, ob an dem Neuanfang nicht ein Schuldbekenntnis zu stehen habe. Die evangelischen Kirchen legten im Oktober 1945 das Stuttgarter Schuldbekenntnis ab, in dem es hieß: "Aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben."

Baptisten im Flüchtlingslager Biberach
Baptisten im Flüchtlingslager Biberach

Auf der Bundeskonferenz 1946 in Velbert, der ersten nach Kriegsende, wurde von einem derartigen formulierten Schuldbekenntnis abgesehen. Aber auf dem 1947 in Kopenhagen stattgefundenen Baptistischen Weltkongreß sprachen Jakob Meister als Bundesvorsitzender und Hans Rockel, der das Hamburger Predigerseminar leitete, das infolge der Zerstörung in Wiedenest untergekommen war, über die Mitschuld der deutschen Baptisten und baten um Vergebung. So wurde die weltweite Glaubensgemeinschaft wieder hergestellt, die schon 1945 und 1946 durch Besuche des Generalsekretärs D. Lewis und des Präsdenten des Weltbundes J. H. Rushbrooke gesucht worden war. Der Weg wurde frei für umfangreiche Lebensmittelsendungen und Bauhilfen. Sehr bald wurde die Frage nach der Notwendigkeit der Bundesgründung 1941 gestellt. 1949 wurde deshalb die "Dortmunder Ordnung" verabschiedet, die festlegte, was innerhalb des Bundes getrennt und was gemeinsam getan werden soll. Ausdrücklich wurde festgestellt, dass sie in Anbetracht der guten Miteinanderarbeit im Osten nur für die drei Westzonen gelten sollte. So blieb es aber nicht. 1949 verließen die ersten 25 BfC-Gemeinden den Bund. 1946 erschien erstmalig im Oncken Verlag die Zeitschrift "Die Gemeinde" und löste die früheren "Wahrheitszeugen" und "Botschaft" ab. Für den Osten gab ab 1947 die Evangelische Versandbuchhandlung Otto Ekelmann "Wort und Werk" heraus. Die "Neue Glaubensstimme" kam 1951 heraus und hatte nur noch 500 statt bisher 702 Lieder; darunter viele neue, die bald gern gesungen wurden. 1948 wurden im Westen die Westmark und im Osten die dort gültige Mark eingeführt. 1949 wurden die beiden deutschen Staaten gegründet: BRD und DDR. Beide Ereignisse mussten maßgebliche Folgen für den Bund haben. So wurde 1949 in Ost-Berlin eine Bundesgeschäftsstelle-Ost eingerichtet. Das Bundeshaus befand sich seit 1948 in Bad Homburg. Der Bundesrat 1949 in Kassel wählte als Vorsitzenden der Bundesleitung Jakob Meister und als Vorsitzende West Hans Fehr und Ost Otto Soltau. Erstmalig musste im Juni 1951 eine Bundeskonferenz für die Gemeinden in der DDR in Ost-Berlin stattfinden. An der Bundesratstagung im Herbst konnte kein Vertreter aus der DDR nehmen. Die in Ost-Berlin gefassten Beschlüsse wurden dann bestätigt. Es wurde ständig versucht, gemeinsam zu handeln. Deshalb wurde der gesamte Bund Mitglied der 1950 gegründeten Europäischen Baptistischen Föderation und 1953 der Europäischen Baptistischen Mission, 1948 der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, 1952 des Hilfswerkes der Evangelischen Kirchen, mit dem schon seit 1946 eine Zusammenarbeit bestand. Das erste Jahrzehnt nach dem 2. Weltkrieg hatte eine überaus wechselvolle Geschichte mit vielfachen Neuanfängen.

Rolf Dammann (Berlin)

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Folge 7: Zwei Bünde unter einem Namen: Baptisten im Kalten Krieg 1955-1965

Kreuzkirche Bremen-Hohenlohestraße, eingeweiht 7.6.1954
Kreuzkirche Bremen-Hohenlohestraße, eingeweiht 7.6.1954

Der Bundesrat beschloss 1960 in Berlin-Tempelhof, künftig jährlich zu tagen und lud für 1961 nach Berlin-Weißensee oder Leipzig und damit erstmalig in die DDR ein. Doch dann kam der 13. August 1961. In der BRD sprach man vom „Bau der Berliner Mauer“, in der DDR von der „Errichtung des antifaschistischen Schutzwalles“. Für die Bundesgemeinschaft hieß das weitere Trennung und zusammenzuhalten, wo es nur irgend möglich ist. An der Bundesleitungssitzung 1961 in München konnte kein Mitglied aus der DDR teilnehmen. Künftig wurde versucht, gemeinsame Sitzungen in Ost-Berlin zu halten, später Begegnungen genannt. Die geplante Bundesratstagung fiel aus. 1962 fand in Vollmarstein-Grundschöttel eine Bundesratstagung-West statt, 1963 eine Bundesratstagung-Ost in Leipzig. Beide Bundesräte beschlossen eine gegenseitige Freigabe für das jeweils von ihnen vertretene Gebiet. Aus Zweckmäßigkeitsgründen wurde in der DDR am Dreijahresturnus festgehalten. Bereits vor 1961 war manche Trennung zu verkraften. 1957 war es nicht mehr möglich, Schwestern, die sich als Diakonisse berufen wussten, ins Mutterhaus Bethel nach West-Berlin zu senden. Es musste eine Ausbildungsmöglichkeit gesucht werden.- Auf dem Predigerseminar in Hamburg wurden auch die Studenten aus der DDR ausgebildet. Mit Ende des Studienjahres 1959 wurde das untersagt. Acht Studenten konnten noch ihr Studium abschließen, vier mussten es in der DDR fortsetzen. Es musste ein Seminar in der DDR gegründet werden. Auf Anraten des Staatssekretärs für Kirchenfragen geschah das mit 8 Studenten „vorübergehend“ im Diakonissenhaus Bethel in Buckow, Märk. Schweiz. 1986 (!) konnte dort ein eigenes Gebäude eingeweiht werden. Sowohl die Dozenten als auch die Studenten beider Seminare pflegten in allen Jahren regen Kontakt durch Treffen in Ost-Berlin. Ab 1961 fanden in West und Ost getrennte Theologische Wochen für die Pastoren statt.Weil auch ein Besuch der Bibelschule in Wiedenest nicht mehr möglich war, begannen die Brüdergemeinden 1960 mit einer derartigen Arbeit in Burgstädt (Sachsen). 1965 konnte der Bund die Evangelische Versandbuchhandlung Otto Ekelmann übernehmen.

Buchhandlung Ekelmann Ost-Berlin Seelower Straße
Buchhandlung Ekelmann Ost-Berlin Seelower Straße

Eine Zusammenarbeit mit dem Oncken Verlag wurde immer erstrebt, war jedoch aus politischen Gründen schwierig. Bei personellen Veränderungen wurde möglichst der Dienst auch in der DDR besetzt. So 1957 für den Bundesvorsitzenden Jakob Meister Hans Fehr und Herbert Weist; für die Vorsitzende des Bundesfrauendienstes Auguste Meister Marianne Bambey und Anna Riechert; 1959 für den Bundesdirektor Paul Schmidt Dr. Rudolf Tauth (Johannes Düring wurde bereits 1958 von Rolf Dammann als Leiter der Bundesgeschäftsstelle Ost abgelöst); 1959 für den Bundesjugendwart Johannes Arndt Gerhard Claas und Klaus Fuhrmann. Die internationalen Kontakte mussten der veränderten Situation angepasst werden.
Beim Kongress der Europäischen Baptistischen Föderation 1958 in West-Berlin waren viele Teilnehmer aus der DDR, aber keiner 1964 in Amsterdam, weil die Ausreisevisa erst nach dem Kongress ausgehändigt wurden. 

Gemeinde Stollberg - eingeweiht am 31.3.1966
Gemeinde Stollberg - eingeweiht am 31.3.1966

Allerdings konnte Klaus Fuhrmann 1963 am Welt-Jugendkongress in Beirut teilnehmen. Die Sorge war dann immer, dass für den Länderaufruf auch eine DDR-Flagge vorhanden war. – Auch für die zwischenkirchlichen Beziehungen mussten die Gleise gelegt werden. 1960 fand in Zwickau noch eine gesamtdeutsche Konferenz der Vereinigung Evangelischer Freikirchen statt. Ab 1964 gab es getrennte Konferenzen, nachdem auch die einzelnen Gremien gebildet worden waren. Die 1948 gegründete Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen bildete 1963 eine Regionalgruppe Ost für die DDR. 1959 starteten die evangelischen Landes- und Freikirchen in beiden Teilen Deutschlands die Aktion “Brot für die Welt”, die zu einem gemeinsamen Zeugnis in der Welt und gegenseitiger Wertschätzung werden sollte.

Rolf Dammann (Berlin)

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Folge 8: 1965 - 1975: Eine Zeit der Neuorientierung

Gerhard Claas
Gerhard Claas

Eine neue Generation leitender Geschwister übernimmt die Verantwortung im Westbund. Johannes Arndt wird 1966 neuer Bundesvorsitzender, 1973 Günter Hitzemann. 1967 wird Gerhard Claas Bundesdirektor als Nachfolger von Rudolf Thaut, der 1968 Direktor des Theologischen Seminars wird. Willi Grün wird 1965 Redaktionsleiter im Verlagshaus. Es beginnt eine Zeit der Neuordnung und Konsolidierung, weil Bisheriges instabil wurde. Verfassung, Wahlordnung und Rechenschaft vom Glauben werden neu erarbeitet. Der Bruderrat der Brüdergemeinden konstituiert sich. Manfred Otto, seit 1970 Bundesdirektor, führt die Bezeichnung "Bundesmissionshaus" ein und strebt einen Neubau an. Die Kontakte mit den anderen Freikirchen werden verstärkt, besonders auf den Gebieten Rundfunkarbeit, Ausbildung und Diakonie.

Theologisches Seminar Hamburg: Studentenproteste wegen unzumutbarer Wohn- und Studienbedingungen führen zu Umbauten und einer Neuordnung des Lebens auf dem Campus. Die meistdiskutierte Frage ist die der Verheiratung von Studenten - bisher war es Verheirateten nicht möglich, im Seminar zu wohnen. Später tritt die Frage des Dienstes der Frauen in unserer Bundesgemeinschaft stark in den Vordergrund. Sie beschäftigt den Bundesrat über mehrere Jahre und ist bis 1975 noch nicht abschließend entschieden. Im Zusammenhang mit den 68er Studentenprotesten lehnen sich auch die Seminaristen gegen die bisher unangefochtenen Autoritäten auf. Viele solidarisieren sich mit der Studentenarbeit. Eine ganze Gruppe verlässt das Seminar, orientiert sich entweder bei anderen Kirchen und politischen Gruppierungen oder versucht als Therapeuten ein berufliches Auskommen zu finden. Die Bemühungen, zu einem gesamtfreikirchlichen Ausbildungsinstitut zu gelangen, bleiben erfolglos.

Rudolf Sichelschmidt
Rudolf Sichelschmidt

Studentenarbeit: In mehreren Universitätsstädten bestanden baptistische Studentenkreise und Wohnheime, getragen und gefördert durch "Altakademiker". Im Gefolge der Studentenproteste 1968 mehren sich kritische Stimmen gegenüber den etablierten Strukturen und Personen des Bundes. Der Ende 1968 zum hauptamtlichen Studentenwart berufene Hagen Seuffert wird in seiner Stellung zwischen den Fronten von allen Seiten angegriffen. 1970 verbietet die Bundesleitung die Herausgabe der Publikationen (u. a. Semesterzeitschrift "SZ") unter dem Namen des Bundes. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen beim Bundesrat 1971 in Stuttgart kommen unüberbrückbare theologische und politische Gegensätze zutage. Die Studentenarbeit des Bundes stellt bald danach ihre Arbeit ein. Viele Studenten und Akademiker verlassen unsere Gemeinden.


Verlag: Als direkte Folge der Auseinandersetzungen verlassen Annemarie Oesterle und Ulrich Hühne den Oncken-Verlag. Die "Junge Mannschaft" stellt ihr Erscheinen ein, später auch "Wort+Tat". Die wirtschaftliche Entwicklung gibt Anlass zur Sorge.

Albertinen Diakoniewerk, eingeweiht am 01.10.74
Albertinen Diakoniewerk, eingeweiht am 01.10.74

Mission: Nach mehreren Großevangelisationen mit Billy Graham werden flächendeckende Aktionen verwirklicht: Gebietsmission Rhein / Ruhr, "EURO 70", Partnerschaftsmission, "evangelia", Schulungsprogramme für persönliche Evangelisation und Einrichtung einer Bundeszentrale unter Leitung von Günter Wieske 1968. Zunehmend bemühen sich Vertreter des Bundes um die Integration von Baptisten aus osteuropäischen Ländern in Umsiedlergemeinden. Die Außenmission wird unter Leitung von Helmut Grundmann (seit 1967) ausgebaut. In Zusammenarbeit mit dem Gemeindejugendwerk entsteht 1975 die Lehrwerkstatt in Maroua (Kamerun), weitere Arbeitszweige entstehen in Sierra Leone und Südamerika ("Missionarische Aktionen in Südamerika", MASA, initiiert von Horst Borkowski).

Gemeindejugendwerk: Rudi Sichelschmidt ab 1965 und Karl Heinz Walter ab 1969 verantworten die Abteilungen Kinder-, Jungschar-, und Jugendarbeit mit jeweils eigenen Leitungen. Die Bundesjugendtreffen im Zweijahresrhythmus ziehen viele Teilnehmer an. Die neu gestalteten A-B-C-Kurse stabilisieren den Stamm der ehrenamtlich Mitarbeitenden. Die internationalen Beziehungen nehmen zu, seit K.H. Walter auch das BWA Jugendkomitee leitet. Das starke Engagement in der Außenmission gründet auf einem entwicklungspolitischen Interesse unter den Jugendlichen, das teilweise auch auf Bedenken von Seiten der Bundesleitung stößt.

Diakonie: Nach dem Krieg neu gegründete diakonische Werke und Einrichtungen bauen ihre Arbeit aus, aber den Diakonissenmutterhäusern fehlt es an Nachwuchs. Walter Füllbrandt wandelt das bisherige Albertinen-Mutterhaus in Hamburg in ein modernes Diakoniewerk um, dem neben den Diakonissen auch Angestellte und Ehrenamtliche angehören.

Harold Eisenblätter (Hamburg)

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Folge 9: "Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft": Der BEFG in den Jahren 1975-1985

Traktat Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft
Traktat Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft

"Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft" - so lautete der Titel eines Traktats, mit dem die Gemeinden in dieser Zeit für sich warben. Die Gemeinden hatten seit Beginn der 70er Jahre einen ausgesprochenen Modernisierungsschub durchgemacht. Das Sekten-Image sollte endgültig der Vergangenheit angehören. Der Zeitabschnitt wurde eingerahmt von zwei bedeutenden internationalen Ereignissen, die auch direkten Bezug zum deutschen Bund hatten: 1975 war es der Baptistische Weltkongress in Stockholm. Ein Teil der deutschen Teilnehmer fuhr unter Leitung von Harold Eisenblätter mit einem gecharterten russischen Passagierschiff zum Kongress. Dieser Kongress blieb der bisher einzige Weltkongress, bei dem die Jugend ein ganzes Abendprogramm gestaltete. Hauptredner an dem Abend war Karl Heinz Walter. Die für Deutschland wichtigste Entscheidung war die Wahl von Gerhard Claas zum Generalsekretär der Europäischen Baptistischen Föderation. 1976 trat er den Dienst an und holte das EBF-Büro nach Hamburg. 1980 wurde Gerhard Claas dann Generalsekretär des Baptistischen Weltbundes. 1984 fand in Hamburg der Kongress der Europäischen Baptistischen Föderation (EBF) statt, zusammen mit dem 150jährigen Jubiläum des deutschen Bundes. Noch war es so, dass aus allen Ländern des Ostblocks nur offizielle Delegationen kommen konnten, die alle unter starkem politischen Druck standen und z.T. auch bestimmte politische Aufträge zu besonderen Erklärungen hatten. Zwei Ereignisse aber bestimmten das Geschehen. Einmal war das der Tod eines jungen Engländers, der beim EBF-Jugendcamp in Mölln beim Schwimmen ertrank. Zum anderen war es die "Schulderklärung des deutschen Bundes zum Verhalten im Dritten Reich" auf die viele von uns lange gewartet hatten. Sie fand eine bewegende Resonanz und verbreitete sich blitzschnell weltweit. Wichtige Ereignisse prägten dieses Jahrzehnt im Bund: 1975 die Eröffnung des Centre Technique in Maroua, die Gründung des Verbandes freikirchlicher Diakoniewerke und der Beginn einer neuen Serie von Bundesjugendtreffen in Leverkusen.1977 war das erste BUJU auf Burg Feuerstein. 1977 nahm der Bundesrat in Nürnberg die "Rechenschaft vom Glauben" offiziell entgegen. Die Gemeindebibelschule wurde eingeführt. Außerdem wurde das neue Bundesmissionshaus eingeweiht. Jubiläen wurde immer wieder gefeiert: 150 Jahre Oncken Verlag 1978; 1980 100 Jahre Theologisches Seminar und vor dem EBF-Kongress in Hamburg feierte der Bund in der DDR das 150 jährige Jubiläum des Baptistenbundes in Deutschland. Personelle Änderungen in Leitungsfunktionen:

  • 1975 ging die Leitung des Jugendseminars von Harry Dörr auf Wilhelm Gerwig über. Edwin Brandt sen. wurde Präsident des Bundes im Westen und Herbert Morét Präsident des Bundes in der DDR.
  • 1976 wurde Siegfried Kerstan in der Nachfolge von Gerhard Claas Bundesdirektor. Nach dem plötzlichen Tod von Edwin Brandt wurde Walter Zeschky Präsident des Bundes im Westen. Der langjährige Direktor des Theologischen Seminars, Hans Luckey, starb auch in diesem Jahr.
  • 1978 wurde Uwe Kühne Leiter des Gemeindejugendwerks in Nachfolge von Karl Heinz Walter.
  • 1980 wurde Arnim Riemenschneider Leiter der Bibelschule Wiedenest, was schon eine bemerkenswerte Entscheidung war, einen Baptisten zu berufen.
  • 1981 wurde Manfred Sult Präsident des Bundes in der DDR.
  • 1983 wurde Günter Hitzemann Präsident des Bundes in der Bundesrepublik. Auch in der Leitung der EBM gab es einen Wechsel. Helmut Grundmann übergab die Verantwortung als Generalsekretär der EBM an Horst Niesen.
  • 1985 erkrankte Siegfried Kerstan schwer und musste seinen Dienst als Bundesdirektor vorzeitig beenden An seine Stelle wurde im gleichen Jahr Gerd Rudzio berufen.
Eduard Schütz (1928-2001)
Eduard Schütz (1928-2001)

Es gab einige Fragestellungen, die in dieser Zeit die Bundesleitung und die ganze Bundesgemeinschaft beschäftigten und gelegentlich zu polarisierenden Diskussionen in den Gemeinden führten: 1977 veröffentlichte die Bundesleitung ein Papier zur Gruppendynamik und warnte vor deren Anwendung in den Gemeinden. Die charismatische Bewegung fand auch in den Bundesgemeinden viele Anhänger. Dies schlug sich 1978 in der Gründung des Arbeitskreises "Charisma und Gemeinde" nieder. 1980 wurde der Arbeitskreis PRO VITA ins Leben gerufen als Antwort auf die öffentliche Diskussion um die Abtreibung. Die insbesondere seit dem NATO-Doppelbeschluss von 1979 wachsende Friedensbewegung fand auch bei vielen Baptisten Unterstützung. 1983 wurde die "Initiative Schalom" zur Koordination evangelisch-freikirchlicher Friedensaktivitäten gegründet - während andere Gemeindemitglieder von einer Unterstützung der Friedensbewegung nichts wissen wollten. Eine heftige Debatte entbrannte über ein Dokument von Eduard Schütz, der in Nachfolge von Rudolf Thaut seit 1978 Direktor des Theologischen Seminars in Hamburg war. An Schütz' Äußerungen entzündete sich eine - ohnehin längst latente - Kontroverse um das Schriftverständnis, die sich an der Frage nach der Interpretation der neutestamentlichen Aussagen über die Jungfrauengeburt zuspitzte. Der Streit führte zu einer heftigen Diskussion beim Bundesrat in Dortmund 1985. Schütz wurde beurlaubt, die Leitung des Seminars wurde - zunächst kommissarisch - Edwin Peter Brandt übergeben. Dass die "freie Kirche in einer freien Gesellschaft" auch eine freiheitliche Konfliktkultur erfordert, zeigte gerade der Verlauf dieser Auseinandersetzung.

Karl Heinz Walter DD (Hamburg)

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Folge 10: 1985-1995 Baptisten in weltbewegenden Zeiten

Schwerter zu Pflugscharen - Symbol der kirchlichen Friedensbewegung der DDR
Schwerter zu Pflugscharen - Symbol der kirchlichen Friedensbewegung der DDR

Dieses politisch aufregende Jahrzehnt begann 1985 mit eindringlichen Mahnungen zum Frieden: 40 Jahre nach dem Krieg veröffentlichten die Evangelischen Kirchen in Ost und West gemeinsam ein "Wort zum Frieden". Bundespräsident von Weizsäcker wagte die Hoffnung, der 8. Mai sei nicht das letzte Datum der Geschichte für alle Deutschen, wenn sie die Verpflichtung dieses Tages zu Frieden und Versöhnung beherzigten. Und die Bundesleitung des BEFG-DDR sprach angesichts des Wettrüstens von unserer Verpflichtung zum Friedensstiften.

Dennoch spielte die Friedensbewegung in den 80er Jahren in West und Ost bei Baptisten nur eine geringe Rolle. Zwar wuchs die baptistische "Initiative Schalom" im Westen; eine neue "Aktion Hoffnung gewinnen" entstand. Zwar setzte die Bundesleitung West 1987 einen "AK Gemeinde und Weltverantwortung" ein; die Bundesleitung Ost berief bereits 1984 einen "AK Friedensfragen". Aber die großen bewegenden Themen in den Bünden waren eher interner Art: Über das Schriftverständnis und die Haltung zur Ökumene wurde im Westen gerungen; viele neue charismatische Aufbrüche neben den Gemeinden beunruhigten die Verantwortlichen im Osten. Ein Abgeordneter des Bundesrates 1985 in Dortmund beklagte, dass in sieben langen Plenarsitzungen nur zehn Minuten blieben für die großen drängenden Fragen der Welt und des Friedens!

1988/89 waren die Baptisten dabei, als erstmalig in der Geschichte Delegierte aller Konfessionen zu den großen "Ökumenischen Versammlungen" sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik zusammenkamen. Nach unseren christlichen Antworten auf die Bedrohungen des Friedens, der Gerechtigkeit und der Schöpfung wurde gesucht. Dieser "konziliare Prozess" motivierte und stärkte z.B. die Kirchen und Gruppen in der DDR, sich gewaltlos für mehr Gerechtigkeit im Land zu engagieren und wenige Monate später in der Friedlichen Revolution eine wichtige Rolle zu übernehmen.

Baptisten hatten ihren Glauben in der Vergangenheit eher weniger politisch verstanden. Waren es z.B. die gewachsenen Beziehungen zu den Landeskirchen, die in diesen Jahren in den Bünden eine Öffnung für politisch-ethische Fragen der Theologie bewirkten?

Aufruf der AgCK in der DDR an die Gemeinden 1987
Aufruf der AgCK in der DDR an die Gemeinden 1987

Die DDR-Bundesleitung verabschiedete auf ihrer letzten Sitzung 1991 eine Stellungnahme zu den Ergebnissen der Ökumenischen Versammlung. Schmerzlich müssten wir erkennen, so heißt es darin, "dass unsere Frömmigkeit kaum für einen verändernden und gestaltenden Einfluss auf die Struktur unserer Welt wirksam wurde". Dankbar wurde die theologische Horizonterweiterung angenommen und als ein geistliches Wort, das uns zur Umkehr ruft, verstanden.

Im Oktober 1989 waren es nur einzelne Baptisten, die sich in der DDR an den Friedensgebeten beteiligten, kaum Gemeinden, die ihre Häuser für oppositionelle Gruppen öffneten. "Für uns Baptisten kam die Wende zu früh. Wir waren noch nicht so weit." (Uwe Dammann) Ein paar Wochen und Monate später aber saßen auch manche Baptisten-Pastoren an den Runden Tischen, Gemeindeglieder stellten sich zur Wahl und übernahmen politische Verantwortung. In dem kleinen Ort Buckow/Märkische Schweiz z.B. bestimmten Baptisten in verschiedenen Leitungsfunktionen viele Jahre die Kommunalpolitik wesentlich mit.

Mit dem Fall der Mauer und dem Weg zur staatlichen Einheit stand bereits im Mai 1990 die Vereinigung der beiden deutschen Bünde auf der Tagesordnung der Bundesräte in Ost und West. Im Mai 1991 in Siegen wurde der Vereinigungsvertrag feierlich unterzeichnet. Neben großer Dankbarkeit fand auch der Schmerz über 46 Brüder- und 12 Elimgemeinden seinen Ausdruck, sie hatten nun den DDR-Bund verlassen. Große Veränderungen – für beide Seiten – standen bevor: Das Theologische Seminar in Buckow beendete seine Arbeit 1991, aber auch für das Hamburger Seminar waren die Jahre gezählt – der Bundesrat 1994 beschloss die Errichtung des neuen Bildungszentrums Elstal bei Berlin. Für kleine Gemeinden im Osten, die in wirtschaftliche Not gerieten, wurde ein Solidaritätsfond gebildet. Und die Aufarbeitung der Geschichte des DDR-Bundes begann…

Initiative Schalom Friedensgebet vor Atomwaffendepot Hasselbach April 1990
Initiative Schalom Friedensgebet vor Atomwaffendepot Hasselbach April 1990

Aufbruchsstimmung auch in der Mission – 1993 erstmals "Pro Christ"-Evangelisation aus Essen, 1995 aus Leipzig, das baptistische Jahr der Evangelisation "aufbrechen 95/96".

Und unsere Verantwortung für diese Welt? 1995 empfahl die Bundesleitung den Gemeinden, am 8. Mai Gott zu danken "für 50 Jahre Frieden, mit denen er uns einen weiten Raum gegeben hat, in den wir in seinem Namen neu aufbrechen…(und) Mut macht, in seinem Auftrag als Friedensstifter zu leben, in Haus und Beruf wie in Gemeinde und Gesellschaft." Botschafter der Versöhnung sein – mit dieser großen Hoffnung brach die baptistische Familie auf, hin zur Jahrtausendwende.

Reinhard Assmann (Berlin)

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Folge 11: „Abbruch und Aufbruch“ - der BEFG in den Jahren 1995 – 2005

Bundesmissionshaus Bad Homburg 1977
Bundesmissionshaus Bad Homburg 1977

Bereits 1991 war das Theologische Seminar der DDR von Buckow nach Hamburg umgezogen. Der Raum in der Rennbahnstraße wurde eng. Ein neu entwickeltes Gesamtbildungskonzept, das auch Fortbildungen für Ehrenamtliche einbeziehen sollte, beförderte ebenfalls das Nachdenken über räumliche Erweiterungen. Diskutiert wurde die Frage, ob das Gelände in HH-Horn dafür nutzbar sei oder ob ein neues Bildungszentrum in Hamburg, in der Mitte Deutschlands oder ganz wo anders geplant werden sollte. Der Bundesrat beschloss 1994 in Rostock, ein Gelände in Elstal vor den Toren Berlins zu kaufen. 1997 erfolgte der Umzug von Hamburg nach Elstal. Das Theologische Seminar (seit 2003 staatlich anerkannte Fachhochschule), das Gemeindejugendwerk (GJW), die Bibelschule und die neu entwickelten Institute „Seminar für Gemeindearbeit“ und „Institut für Seelsorge und Psychologie“ siedelten sich an der B5 westlich von Berlin an. Hinzu kam noch ein Komplex mit seniorengerechten Wohnungen. Ein mit viel Engagement verbundener Aufbruch in eine neue Ära, aber auch Abbruch einer langen Tradition theologischer Ausbildung und Verwurzelung des Bundes in Hamburg. Und eine große finanzielle Herausforderung für die Bundesgemeinschaft. Im Laufe der Jahre mehrten sich die Stimmen, dass sich der Bund mit der Schuldenlast überfordert habe.

Veränderungen gab es auch im Bundeshaus in Bad Homburg. Mit Lutz Reichardt (1995), Heinz Sager (1996) und Hans-Detlef Saß (2000) traten innerhalb kurzer Zeit drei neue Bundesdirektoren ihren Dienst an. Unter den neuen Projekten fiel besonders die von Lutz Reichardt im Blick auf den bevorstehenden Jahrtausendwechsel ins Leben gerufene Zukunftskommission „Unser Weg in die Zukunft“ auf. Nach einer Befragung (fast) aller Gemeinden wurde der Bedarf für die Arbeit des Bundes neu definiert. Vorschläge für eine neue Leitungsstruktur wurden daraus abgeleitet und 10 Leitsätze formuliert, die die Arbeit der Gemeinden und das Miteinander im Bund auf den Punkt bringen.

Bundesmissionshaus Bad Homburg Steintafel
Bundesmissionshaus Bad Homburg Steintafel

Ergebnisse der Zukunftskommission wurden auf dem Bundesrat 2002 in Krelingen vorgestellt. Der Bundesöffentlichkeit wurde auf diesem Bundesrat aber auch eine Krise in der Leitung des Bundes bekannt. Der Bundesrat 2002 wurde zum „Krisengipfel“. Alle drei Bundesdirektoren und die gesamte Bundesleitung beendeten ihren Dienst. Spontan wurde in Krelingen eine „Übergangsbundesleitung“ gewählt. Präsident wurde der gerade in den Ruhestand verabschiedete ehemalige Bildungsreferent des Bundes, Pastor Siegfried Großmann, und Vizepräsident wurde Wirtschaftsfachmann Dr. Raimund Utsch, der als Berater des Bundes eigentlich nur angereist war, um die Ergebnisse der Zukunftskommission zu präsentieren. Beide übernahmen auch die Funktion der Bundesdirektoren. Die „Übergangsbundesleitung“ traf sich monatlich mit einigen verbliebenen Referenten des Bundes. Im November 2002 konnte auf einem Sonderbundesrat in Gelsenkirchen eine neue Leitungsstruktur verabschiedet werden. Außerdem wurde beschlossen, das Bundeshaus nach Elstal auf den Campus des Bildungszentrums zu verlegen. Und es wurde ein langfristiger Finanzplan genehmigt. Durch Sparmaßnahmen und Spendenaufrufe konnte im Laufe der nächsten Jahre eine deutliche Reduzierung der Schulden umgesetzt werden.

2003 übernahm die neu gebildete Bundesgeschäftsführung unter der Leitung von Regina Claas als Generalsekretärin und Andreas Lengwenath als kaufmännischer Geschäftsführer die Arbeit der Bundesdirektoren. Die Verfassung des Bundes und in der Folge viele Ordnungen wurden neu gestaltet. 
Durch das engagierte Mitarbeiten vieler konnten die Leitungskrise des Bundes überwunden und neue Perspektiven entwickelt werden – auch wenn nicht alle Irritationen aus der Krise bei Einzelnen und Gemeinden aufgearbeitet werden konnten.

Luftbild Bildungszentrum Elstal
Luftbild Bildungszentrum Elstal

Im Leben vieler Gemeinden ließen sich in dem Jahrzehnt von 1995 bis 2005 Veränderungen beobachten. Manche Traditionen und Gewohnheiten, die früher als „typisch baptistisch“ galten, traten in den Hintergrund. Viele Gemeinden griffen Anregungen der „Willow Creek“-Bewegung auf und modernisierten ihre Gottesdienste radikal. Vielerorts setzte sich das Klavier oder die Band zur Begleitung des Gemeindegesangs anstelle der Orgel durch. In gemeinsamer Verantwortung mit dem Bund Freier evangelischer Gemeinden erschien 2003 ein neues Liederbuch „Feiern und Loben“, eine Koproduktion von Hänssler-, Bundes- und Oncken-Verlag.

Die Identifikation der einzelnen Gemeinden und der Mitglieder mit dem Bund ist heute weniger selbstverständlich als in früheren Generationen. Die Frage nach der gemeinsamen Identität begleitet den BEFG seit der Umfrage im Jahr 1999 und es bleibt spannend, wie „unser Weg in die Zukunft“ uns weiterführt.

Friedrich Schneider

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Folge 12: 2005–2010: Der deutsche Baptismus als Teil einer weltweiten Familie

BWA-Generalsekretär Neville Callam
BWA-Generalsekretär Neville Callam

Die baptistischen Gemeinden in Deutschland verstanden sich von Anfang an als Teil einer Bewegung über die nationalen Grenzen hinaus, zumal bereits durch J. G. Oncken eine enge Verbindung zu Baptisten in England und in Amerika bestand. So spielten auch der baptistische Weltbund (Baptist World Alliance, BWA, gegründet 1905) und die Europäische Baptistische Föderation (EBF, gegründet 1949) immer eine wichtige Rolle für die Baptisten in Deutschland.

Kein Wunder also, dass im Jahr 2005 viele Deutsche ins Nachbarland Großbritannien reisten, wo in Birmingham der Weltkongress der Baptisten zum 100. Geburtstag der BWA stattfand. Für die neue Amtsperiode entschied das Präsidium des Bundes, die Mitarbeit in BWA und EBF zu intensivieren. So wie es für Baptisten in Deutschland wichtig war, sich als Teil einer größeren Familie zu verstehen, so waren auch für die andern die Partnerschaft mit Deutschland und die Beiträge des deutschen Bundes in Theologie, Mission, Diakonie, Kinder- und Jugendarbeit und Weltverantwortung immer von Bedeutung.

Spürbar wurde dies auch in den Partnerschaften zu osteuropäischen Ländern. Der BEFG konsolidierte seine Europahilfe in enger Zusammenarbeit mit der EBF. Gemeindepartnerschaften unter anderem mit dem Baltikum, Polen, Rumänien, der Ukraine, aber auch nach Österreich, Ungarn, Belgien und nun auch vermehrt in die Türkei und nach Israel belebten die Kontakte innerhalb Europas. Das Komitee für Weltmission investierte in die Partnerschaft mit Südafrika und setzte gemeinsam mit der Europäischen Baptistischen Mission (EBM, MASA, Indienhilfe) das Projekt „Grenzenlos“ um, in dem Partner aus Afrika und Lateinamerika für einige Zeit in deutschen Gemeinden als Missionare mitarbeiten.

Jugendliche mit J.G.Oncken beim Weltjugendtreffen 2008 in Leipzig
Jugendliche mit J.G.Oncken beim Weltjugendtreffen 2008 in Leipzig

In der Leitung des Weltbundes gab es einen Wechsel. Dr. Denton Lotz, Generalsekretär der BWA von 1988 bis 2007, hatte das Seine zu einer intensiven Verbindung zwischen dem deutschen Bund und der BWA beigetragen. Der amerikanische Theologe mit deutschen Wurzeln hatte in Hamburg studiert, war später von Österreich aus als Missionar für Osteuropa tätig und pflegte auch später intensiven Kontakt zu vielen Personen im BEFG. Als er 2007 in den Ruhestand ging, wurde Dr. Neville Callam aus Jamaika als sein Nachfolger berufen. Damit setzte sich die Internationalisierung des Weltbundes auch in leitenden Positionen auf gute Weise fort. Das große Ereignis des Jahres 2008 war die 15. Weltjugendkonferenz in Leipzig. In Federführung des Gemeindejugendwerks und unter Leitung von Christoph Haus sorgte das Ortskomitee für einen vollen Erfolg, an dem sehr viele Jugendgruppen, Gemeinden und Einzelhelfer aus dem ganzen Land beteiligt waren. Tief beeindruckt zeigten sich die internationalen Gäste nicht nur von der herzlichen Gastfreundschaft und kompetenten Organisation. Die Aufarbeitung der Geschichte, besonders auch des Nationalsozialismus und der Geschichte des geteilten Deutschland, brachte viele zum Nachdenken. Viele Begegnungen mit ausländischen Gästen in Gemeinden vor und nach der Jugendkonferenz brachten ein wenig von dem Flair auch in weit entlegene Gegenden Deutschlands. Für die Gemeinden des BEFG hatte die Gastgeberrolle für die Weltjugendkonferenz Identität stiftenden Charakter. „Gemeinsam schaffen wir das!“ Diese Überzeugung brachte Jung und Alt, große und kleine Gemeinden aus Großstädten und ländlichen Gegenden, aus Ost und West zusammen. Dies wurde zu einem tief geistlichen Erlebnis. Die Baptisten im BEFG als Minderheitskirche in Deutschland erlebten hautnah, was es heißt, zur größten protestantischen Vereinigung der Welt zu zählen!

Am Infostand Weltjugendtreffen in Leipzig 2008
Am Infostand Weltjugendtreffen in Leipzig 2008

2009 ging es weiter mit dem Feiern: 175 Jahre zuvor hatte Johann Gerhard Oncken die erste Gemeinde in Hamburg gegründet. Zur Bundesratstagung, die aus diesem Anlass in Hamburg stattfand, waren eine Reihe internationale Gäste eingeladen. Dies sollte jedoch keine Konkurrenz werden zu dem umfassenderen Jubiläumskongress der EBF „Amsterdam 400“, der im Juli 2009 im RAI Center in Amsterdam stattfand. Delegierte aus 57 Ländern feierten 400 Jahre Baptistische Geschichte auf dem europäischen Kontinent. Den letzten europäischen Kongress dieser Art hatte es 1994 in Lillehammer, Norwegen gegeben.

Der 20. Kongress des Baptistischen Weltbundes steht nun bevor. Er wird vom 28. Juli bis 1. August 2010 in Honolulu, Hawaii stattfinden. Auch wenn nicht so viele Deutsche teilnehmen können wie vor fünf Jahren, so erhoffen wir doch auch für unsere Gemeinden von diesem Kongress gute Impulse. Das Thema lautet: „Hear the Spirit“ – Hört, was der Geist (den Gemeinden) sagt! (siehe auch Offb. 2,7).

Regina Claas, Generalsekretärin des BEFG, Elstal

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